Der Bernsteinwald

Unzweifelhaft existierte er vor 38-50 Millionen Jahren im Bereich des heutigen nördlichen Europa und sicher hatte er eine große Ausdehnung über mehrere hunderet bis tausend Kilometer.
Auch die Angabe der großen Zeitspanne ist richtig, denn den Bernsteinwald hat es sicher einige Millionen Jahre lang gegeben.

Das Klima war damals sehr stabil, warm-gemäßigt bis subtropisch; Klimaschwankungen mit Vereisungen der Polkappen gab es nicht.
Woher wissen wir das so genau?
Ein Indiz: nach dem Aktualitätsprinzip müssen wir davon ausgehen, dass Insektengruppen, die heute ausschließlich in den Subtropen leben, damals auch subtropisches Klima bevorzugten. Konkret: die Hauptverbreitung der Gottesanbeterinnen, Stabschrecken, Gekkos liegt heute im subtropischen bis tropischen Raum - und wir finden sie im Bernstein!

Es ist spannend, den Bernsteinwald zu rekonstruieren. Dabei helfen uns natürlich einerseits die Grabgemeinschaften (Taphozönosen) im Bernstein, andererseits Fossilien gleichen Alters von anderen Fundorten:
die vielen Fossilien der legendären Grube Messel bei Darmstadt und aus dem Geiseltal bei Halle, die zur selben Zeit lebten wie die Lebewesen des Bernsteinwaldes. Sie zeigen uns Lebewesen, die aufgrund ihrer Größe nicht im Bernstein zu finden sind (oder nur Teile von ihnen):
Urpferdchen, Urraubtiere, primitive Primaten, Fledermäuse und andere Insektenfresser, kleine Vögel, aber auch Krokodile, viele Amphibien und natürlich Fische.

Der Bernsteinwald muss nicht nur sehr feuchtes Klima gehabt haben, sondern auch reichlich stehende und fließende Gewässer: eine Fülle von Bernsteininsekten ist der Gewässernähe zuzuordnen, entweder sie selbst oder deren Larven. Denken wir an die vielen Zuckmücken, Köcherfliegen, Eintagsfliegen, Steinfliegen, Schwammfliegen, die Sumpfkäfer, Taumelkäfer, Wasserwanzen u.v.m. Sie alle sind zumindest in einem Entwicklungsstadium auf Wasser angewiesen.
Aber auch Einzelfunde lassen Rückschlüsse auf Biotope im Bernsteinwald zu. So fand GRÖHN eine Steinfliegenlarve mit Kiemen im Bernstein, deren heutige Verwandte in schnell fließenden, kalten Gebirgsbächen vorkommen (siehe dazu auch Extra-Info: Fische im Bernstein).
Auch andere Indizien könnten angeführt werden, dass es höher gelegene Areale gegeben hat, von denen herab Bäche flossen, z.B. der Erstnachweis des Brunnenkrebses Niphargus groehni (Abbildung siehe unter Info Wasserinsekten). Mehrere im Baltischen Bernstein beschriebene Laufkäferarten aus den Gattungen Nebria und Loricera lassen sogar ein kalt-gemäßigtes (boreales) Klima in einigen Regionen vermuten, denn sie leben heute in solchen Habitaten.

Die Pflanzenwelt lässt sich schwieriger rekonstruieren, denn Pflanzen können nicht ins Harz fliegen. Sie müssen entweder direkt vom Harz betropft worden sein oder durch Wind eingeweht.
Unzweifelhaft gab es viele Eichen, denn nur Eichen bilden die typischen Sternhaare, die nur der Baltische Bernstein enthält. Die vielen Luftsackpollen im Bernstein weisen auf Kiefern hin. Andere nachgewiesene Laubbäume sind Buchen und Ahorn, weitere mehr oder weniger häufig vorkommende Nacktsamer sind Fichten, Tuja und Zypressen.

Lebermoose weisen auf ein Biotop mit hoher Luftfeuchtigkeit und Schatten hin und kommen recht häufig im Bernstein vor; Laubmoose eher selten und Farne sehr selten.
Neben tropischen und subtropischen Pflanzenfamilien (z.B. Lorbeer, Palmen), finden wir Pflanzenfamilien aus gemäßigten Zonen (z.B. Rosengewächse, Steinbrech). Einige Familien der Blütenpflanzen wiederum weisen auf lichte Wälder hin, z.B. Heidegewächse, Kreuzblütler, Wolfsmilchgewächse und Doldenblütler.
Insgesamt sind schon über 50 Familien der höheren Blütenpflanzen nachgewiesen.

Zusammenfassend kann man sagen, dass es sicher nicht DEN typischen Bernsteinwald gegeben hat, sondern einen sehr abwechslungsreichen riesigen Wald mit verschiedensten Subbiotopen.
Als Leitfossilien müssen aber auf jeden Fall die Kiefer und die Eiche hervorgehoben werden, denn sie gab es wohl überall. Das stimmt auch mit der heutigen Verbreitung dieser beiden Artengruppen überein: wir finden sie vom hohen Norden bis in die mediterranen Gegenden.

Ein kleines Rätsel bleiben die manchmal so unterschiedlich zusammengesetzten Syninklusen / Grabgemeinschaften (heterogene Taphozönosen). Mit unterschiedlich meine ich: Inklusen aus verschiedenen Subbiotopen. Man müsste doch annehmen, dass an der Stelle, an der ein Baum harzte und ein Schlaubenharzstück auf der Rinde entstand, dann auch nur Lebewesen aus der Rindenfauna zu finden sind, ergänzt durch die Fluginsekten der näheren Umgebung, nicht aber Lebewesen aus der Totholzfauna oder Bodenfauna, schon gar nicht aus der Gewässerfauna.
Tatsache aber ist, dass einige Schlaubensteine solche heterogen zusammengesetzten Syninklusen zeigen. Das kann nur so erklärt werden:
1. Das aromatisch duftende glänzende Harz muss Insekten magisch angezogen haben, auch aus größerem Abstand.
2. Der Wind hat mitgespielt und vieles vom Boden aufgewirbelt oder von weiter her herangeweht.


Zeichnung des Bernsteinwaldes, altes Poster im Bernsteinmuseum Ribnitz-Damgarten



Poster des Bernsteinwaldes - Museum Oksböl/Dänemark



Zeichnung des Bernsteinwaldes im neu eröffneten Deutschen Bernsteinmuseum:




An allen vorangegangen gezeigten Entwürfen von Bernsteinwäldern stört mich einiges. So haben die Kiefern von Otto Frello sicherlich nicht so unnatürlich stark geharzt - und das "bunte" Bild aus Ribnitz-Damgarten wirkt eher wie "Indian Summer", aber nicht wie ein Bernsteinwald.

Gabriele Diebel hat nach meinen Vorschlägen eine Zeichnung mit stark reduzierten Informationen erstellt, dass ich hervorragend gelungen finde. Es zeigt das Wesentliche: links eine Kiefer (der vermutete Hauptharzproduzent), rechts eine Eiche (von der wir so viele Sternhaare im Bernstein finden). Eine Wasserstelle mit verschiedensten Pflanzen und Insekten im Hintergrund, ein Halbaffe im Vordergrund (von Lemuren sind nachweislich Haare  im Bernstein gefunden). Kleinvögel (Federn sind im Bernstein gefunden) und eine Libelle ergänzen das Bild und weisen auf Raritäten im Bernstein hin.